Trautes Geheimnis - Antje Schmidt
"Erinnerungen sind mir lästig. Ich hatte in meinem Leben bislang wenig Verwendung für die Vergangenheit, und ich dachte selten über sie nach. Es war nicht so, dass ich mich der Erinnerung grundsätzlich verweigerte. Ich wusste nur nicht, wem diese alten Geschichten nützlich sein sollten. Doch in meiner momentanen Situation würde ich viel für eine winzige Erinnerung geben. Wenn keine Bilder mehr abrufbar sind und sich das bisherige Leben anfühlt wie eine gelöschte Datei, kann man sich der Suche nach der Vergangenheit wohl nicht länger verweigern."
" 'Anrufe am frühen Morgen sind kein gutes Omen', hatte meine Mutter zu sagen gepflegt, 'sie bringen schlechte Neuigkeiten.' Das war einer ihrer Gründe, weshalb sie nie vor zehn Uhr ans Telefon ging. Ein anderer war, dass sie um diese Uhrzeit häufig noch ihren Rausch ausschlief. Als Kind war ich instruiert worden, am Telefon auszurichten, dass meine Mutter um diese Uhrzeit noch nicht zu sprechen sei."
"Christa ging zu Traute ans Bett und wischte der Toten über den Mund, wo sich erneut ein weißer schaumiger Tropfen gebildet hatte. Wahrscheinlich würde es ungewöhnlich genug aussehen, dass Traute angezogen mit einem Kleid auf ihrem Bett lag. Warum hatte sie sich noch dazu geschminkt? Sie musste sich eine gute Geschichte dazu ausdenken. Kein Mensch geht so zu Bett. Nicht einmal Traute."
" 'Erinnerungen sitzen nicht allein im Kopf, sondern in jeder Zelle deines Körpers', hatte meine alte Freundin Anna unlängst erst behauptet. Ich begab mich auf die Suche. Alles, was einmal meine Wahrheit gewesen war, gab es sowieso nicht mehr. Im Nachhinein betrachtet war es erstaunlich, dass ich überhaupt so lange durchgehalten hatte. Ich bemühe mich nun, die Ereignisse so gut es geht zu beschreiben. Als es mir etwas besser ging, habe ich auch Alex gebeten, von sich zu erzählen. Ebenso Caren und Hendrik. Auch darauf werde ich später zurück kommen. Doch alles der Reihe nach. Es klingt vielleicht vermessen zu behaupten, dass mein neues Leben vor drei Wochen seinen Anfang nahm. Was kann sich schon innerhalb von drei Wochen grundlegend ändern? Und doch war es so. Angefangen hatte es an dem Morgen vor drei Wochen, als das Telefon noch vor dem Aufstehen klingelte. Eine Stimme teilte mir mit, dass Tante Traute gestorben sei. Damals hatte ich noch nicht die leiseste Ahnung, wie sehr dieser Anruf mich wachrütteln würde. Genau betrachtet hatte ich einfach keine Chance mehr weiterzumachen wie bisher."
Trautes Geheimnis Antje Schmidt helen Fries
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